Abdel-Hadi:
Der Titel Ihres Buches "Ich will nicht mehr schweigen" klingt so, als ob sie
bis dahin nichts sagen dürften. Ist da was dran?
Rupert Neudeck:
Erst einmal sollte der Titel lauten: "Ich will nicht mehr feige sein" das war
mein Titel, und der hat mir eigentlich noch besser gefallen. Nun weiß man, dass
Bücher von Verlegern betitelt werden. Ich finde den Titel aber auch gut, weil
in der Tat wir in Deutschland ein Problem haben, mit der Freizügigkeit und
mit dem Freimut über dieses Thema zu reden; dies ergibt sich aus Gründen, die
in unserer jüngsten Geschichte liegen, von denen ich aber als Vertreter einer
anderen Generation meine, dass wir uns daran nicht mehr halten dürfen: Wir
müssen um des Friedens- und der Menschenrechte willen über alles sprechen,
und das ist der Sinn dieses Buches.
Abdel-Hadi:
Aber es muss sicherlich einen Anlass gegeben haben, der Sie dazu veranlasst
hatte, von innen heraus zu schreien und zu sagen: So geht es nicht! Können
Sie genauer beschreiben, was Sie empfunden haben?
Rupert Neudeck:
Ja, ich habe mich beobachtet und musste feststellen, dass ich in Deutschland
bekannt bin als jemand, der zu allen Fragen, wo es um Völker- und Menschenrechte
geht, immer ganz laut, klar und unmissverständlich geredet und geschrieen habe.
Wenn es schlimm war, habe ich ganz laut geschrieen. Ich habe mich niemals
irgendwo zurückgehalten, wenn es um andere Menschen geht, die in Not sind.
Ich habe mich dabei ertappt, dass ich das ich nicht in der Form, in der Stärke,
in der Kraft und der Intensität gemacht habe für die Palästinenser, wie ich
das sonst tue, und dass das auch nicht in der Intensität in den deutschen Medien
aufgegriffen wird.
Das ist ein doppelter Prozess vom Schweigen. Das ist mein
eigener Schweigensprozess, aber es ist auch ein objektiver: Ich weiß: Wir
(Rupert Neudeck, der CDU-Politiker Norbert Blüm u. a.) kamen von einer
Palästina-Reise zurück, und wir haben an Weihnachten 2005 eine Pressekonferenz
gemacht. Wir hatten die ersten großen Bilder von der Mauer. Und ich war naiv,
wie ich bin, der festen Überzeugung, das wird ein großer Durchbruch in der deutschen
öffentlichen Meinung, aber weit gefehlt. Es gab überhaupt keinen Durchbruch.
Abdel-Hadi: Was hat Sie in den besetzten Gebieten am meisten entsetzt?
Rupert Neudeck: Also, der entscheidende Punkt des "No Return" für mich war
Hebron. Dort sehen wir, wie eine ganze Großstadtbevölkerung im Grunde blockiert
und paralysiert wird durch diese irrwitzigen ausgegrenzten Kleinstsiedlungen,
die innerhalb einer Großstadt eingerichtet worden sind, und wo ich mit großem
Schrecken sehen musste, dass das ein Prinzip ist vom Gegeneinander-Leben,
das man ausdrücklich fördert, von israelischer Besatzungsseite.
Das tragen
ich und wir ja auch als Verbündete oder als Freunde Israels mit, und ich
meine, wenn man Verbündeter oder Freund ist, dass man dazu qualifiziert ist,
klar sagen zu können: Hier da irrst du, oder da ist etwas ganz falsch, oder
ganz faul. Doch wir tun das nicht, und deshalb war Hebron für mich eigentlich
der Punkt, wo ich gesagt habe, dieses Hebron darf mit seiner Bevölkerung nicht
so geknebelt werden, wie das bisher der Fall war. Das ist mein Ziel, und von
da an bin ich losgegangen, und ich weiß noch nicht, wo ich ankomme.
Abdel-Hadi:
Ich habe kürzlich den israelischen Professor Prof. Moshe Zuckermann interviewt.
Er vertrat eine interessante These. Er hat gesagt, die Deutschen können ihren
Opfern, den Juden, nur dann gerecht werden, wenn sie auch den Palästinensern
als Opfern der Israelis gerecht werden. Es sei alles mit einander verkoppelt.
Was halten Sie von dieser These?
Rupert Neudeck:
Ich denke, wir sind bei diesem Konflikt in so einen tiefen Morast von allen
möglichen Unerträglichkeiten geraten, dass ich mich eigentlich am liebsten
nicht mehr mit der Geschichte beschäftigen möchte, mich nicht mehr zurückwenden
müsste zur Geschichte von Opfern da und von Opfern hier.
Ich meine nur, es ist
ganz klar und eindeutig: Die Art, wie Israel sich in Palästina völkerrechtswidrig
und UNO-rechtswidrig verhält, das hält keiner normalen und vertrauten
Beobachtung stand, und deshalb muss sich diese Politik ändern.
Und es ist wichtig, dass die internationale Staatengemeinschaft, besonders
die Europäer und auch die Deutschen, ihre starke Stimme dazu zu Gehör bringen.
Anders wird es nicht gehen.
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