AG Palästina anders
- Interview mit R. Neudeck -
22.3.2006: Interview mit dem Journalisten und Menschenrechtler Rupert Neudeck über sein jüngstes Buch "ICH WILL NICHT MEHR SCHWEIGEN"
Am vergangenen Mittwoch (22.3) hat der Journalist und Menschenrechtler Rupert Neudeck einen Vortrag über sein kürzlich erschienenes Buch "Ich will nicht schweigen" in der ESG Bonn gehalten.
Zuvor durfte er keinen Vortrag darüber in einer Frankfurter Kirche halten, weil die Gastgeber, die dortigen Kirchenvertreter, aus Rücksicht auf die Proteste von Mitgliedern der jüdischen Gemeinde ihre Einladung rückgängig gemacht hatten.

Hakam Abdel-Hadi hat ihn nach seinem Bonner Vortrag interviewt.

Abdel-Hadi: Der Titel Ihres Buches "Ich will nicht mehr schweigen" klingt so, als ob sie bis dahin nichts sagen dürften. Ist da was dran?

Rupert Neudeck: Erst einmal sollte der Titel lauten: "Ich will nicht mehr feige sein" das war mein Titel, und der hat mir eigentlich noch besser gefallen. Nun weiß man, dass Bücher von Verlegern betitelt werden. Ich finde den Titel aber auch gut, weil in der Tat wir in Deutschland ein Problem haben, mit der Freizügigkeit und mit dem Freimut über dieses Thema zu reden; dies ergibt sich aus Gründen, die in unserer jüngsten Geschichte liegen, von denen ich aber als Vertreter einer anderen Generation meine, dass wir uns daran nicht mehr halten dürfen: Wir müssen um des Friedens- und der Menschenrechte willen über alles sprechen, und das ist der Sinn dieses Buches.

Abdel-Hadi: Aber es muss sicherlich einen Anlass gegeben haben, der Sie dazu veranlasst hatte, von innen heraus zu schreien und zu sagen: So geht es nicht! Können Sie genauer beschreiben, was Sie empfunden haben?

Rupert Neudeck: Ja, ich habe mich beobachtet und musste feststellen, dass ich in Deutschland bekannt bin als jemand, der zu allen Fragen, wo es um Völker- und Menschenrechte geht, immer ganz laut, klar und unmissverständlich geredet und geschrieen habe. Wenn es schlimm war, habe ich ganz laut geschrieen. Ich habe mich niemals irgendwo zurückgehalten, wenn es um andere Menschen geht, die in Not sind.
Ich habe mich dabei ertappt, dass ich das ich nicht in der Form, in der Stärke, in der Kraft und der Intensität gemacht habe für die Palästinenser, wie ich das sonst tue, und dass das auch nicht in der Intensität in den deutschen Medien aufgegriffen wird.
Das ist ein doppelter Prozess vom Schweigen. Das ist mein eigener Schweigensprozess, aber es ist auch ein objektiver: Ich weiß: Wir (Rupert Neudeck, der CDU-Politiker Norbert Blüm u. a.) kamen von einer Palästina-Reise zurück, und wir haben an Weihnachten 2005 eine Pressekonferenz gemacht. Wir hatten die ersten großen Bilder von der Mauer. Und ich war naiv, wie ich bin, der festen Überzeugung, das wird ein großer Durchbruch in der deutschen öffentlichen Meinung, aber weit gefehlt. Es gab überhaupt keinen Durchbruch.

Abdel-Hadi: Was hat Sie in den besetzten Gebieten am meisten entsetzt?

Rupert Neudeck: Also, der entscheidende Punkt des "No Return" für mich war Hebron. Dort sehen wir, wie eine ganze Großstadtbevölkerung im Grunde blockiert und paralysiert wird durch diese irrwitzigen ausgegrenzten Kleinstsiedlungen, die innerhalb einer Großstadt eingerichtet worden sind, und wo ich mit großem Schrecken sehen musste, dass das ein Prinzip ist vom Gegeneinander-Leben, das man ausdrücklich fördert, von israelischer Besatzungsseite.
Das tragen ich und wir ja auch als Verbündete oder als Freunde Israels mit, und ich meine, wenn man Verbündeter oder Freund ist, dass man dazu qualifiziert ist, klar sagen zu können: Hier da irrst du, oder da ist etwas ganz falsch, oder ganz faul. Doch wir tun das nicht, und deshalb war Hebron für mich eigentlich der Punkt, wo ich gesagt habe, dieses Hebron darf mit seiner Bevölkerung nicht so geknebelt werden, wie das bisher der Fall war. Das ist mein Ziel, und von da an bin ich losgegangen, und ich weiß noch nicht, wo ich ankomme.

Abdel-Hadi: Ich habe kürzlich den israelischen Professor Prof. Moshe Zuckermann interviewt.
Er vertrat eine interessante These. Er hat gesagt, die Deutschen können ihren Opfern, den Juden, nur dann gerecht werden, wenn sie auch den Palästinensern als Opfern der Israelis gerecht werden. Es sei alles mit einander verkoppelt.
Was halten Sie von dieser These?

Rupert Neudeck: Ich denke, wir sind bei diesem Konflikt in so einen tiefen Morast von allen möglichen Unerträglichkeiten geraten, dass ich mich eigentlich am liebsten nicht mehr mit der Geschichte beschäftigen möchte, mich nicht mehr zurückwenden müsste zur Geschichte von Opfern da und von Opfern hier.
Ich meine nur, es ist ganz klar und eindeutig: Die Art, wie Israel sich in Palästina völkerrechtswidrig und UNO-rechtswidrig verhält, das hält keiner normalen und vertrauten Beobachtung stand, und deshalb muss sich diese Politik ändern. Und es ist wichtig, dass die internationale Staatengemeinschaft, besonders die Europäer und auch die Deutschen, ihre starke Stimme dazu zu Gehör bringen.
Anders wird es nicht gehen.


Webmaster: Datum: 25.03.06